Porsche – Origin of the Species.

Bei der Porsche Parade 2005 in Hershey, Pennsylvania, trafen sich der große schon mit zahlreichen Auto-Literaturpreisen ausgezeichnete Automobilhistoriker Karl Ludvigsen und der amerikanische Schauspieler und Comedian Jerry Seinfeld. Dies war die Geburtsstunde des hier vorliegenden, schlichtweg überwältigenden Buchs „Porsche – Origin of the Species“. Ludvigsen, selbst mit einer Ausbildung zum Maschinenbau-Ingenieur versehen, hatte sein vorangegangenes Werk über das Schaffen Ferdinand Porsches bis 1933 - „Ferdinand Porsche: Genesis des Genies“ - gerade fertiggestellt; Jerry Seinfeld berichtete von seiner eindrucksvollen Sammlung klassischer Porsche, die von den Anfängen des Unternehmens bis zum letzten luftgekühlten 911, dem Typ 993, reichte.
Ein besonders wertvolles Exemplar der 47 Porsche umfassenden Seinfeld-Collection ist der Porsche 356/2-040, der aus der frühesten Zeit der Porsche-Produktion stammt. Ludvigsen, der sich in früheren Jahren auch in leitenden Funktionen bei General Motors, Fiat und Ford Europe einen Namen gemacht hatte, war von diesem Fahrzeug so angetan, dass er sich an die „Ahnenforschung“ für den Sportwagen machte und schließlich unendlich viele Details zusammentrug, aus denen sich die Ursprünge des betagten Porsche praktisch lückenlos nachvollziehen lassen. Das Ergebnis von Ludvigsens Recherchen stellt den Ausgangspunkt für den Inhalt des vorliegenden Buchs dar. Er nahm den 356/2-040 zum Anlass, die Geschichte von Porsche von 1933 bis zur Produktion des 356 aufzuschreiben und das automobilistische Leitbild, das den Porsche-Konstruktionen zugrundelag und bis zum heutigen 911 reicht, zu rekonstruieren und zu verdeutlichen.
Da der 356/2-040 jedoch nicht der Beginn dieser Historie ist, findet sich seine Dokumentation auch nicht am Anfang des Buchs, sondern erst in den Kapiteln sieben und acht.
Nach einem Vorwort von Jerry Seinfeld und einer Einführung zeichnet Karl Ludvigsen im ersten Kapitel überaus knapp die Zeitschiene des Porsche-Designs von 1948 bis zum 996 nach und belegt die trotz aller konsequenten Weiterentwicklung doch unübersehbare Kontinuität der Formensprache der Sportwagen von Porsche. Im zweiten Abschnitt mit dem Titel „Automaking Ambitions“ wird der Leser mit den ersten Sportwagen-Projekten des Porsche-Konstruktionsbüros vor dem Zweiten Weltkrieg vertraut gemacht, die unter den Typ-Nummern 64, 114 und 60K10 bekannt geworden sind. Zugleich erfährt man viel Neues zu den unternehmerischen Ambitionen Porsches und der Entstehung des Firmensitzes in Zuffenhausen. Hochinteressant ist auch die Reproduktion eines Organigramms der neu gegründeten Dr.Ing.h.c.F.Porsche KG, die von einer straffen Führungsstrategie und zielorientierten Delegationsfähigkeit durch klare Aufgabenverteilung Zeugnis ablegt. Ergänzt wird dieser Abschnitt durch einen Einschub über die unter Porsches Federführung entstandenen Sportwagen der Auto Union.
„Turbulent War Years“ beschreibt sehr differenziert die Porsche-Aktivitäten während der Kriegszeit. Das ist die Entstehungsgeschichte des Volkswagens, das ist aber auch die Konstruktion militärischer Technik – so wie sich die Nazi-Schergen die ingeniöse Genialität Ferdinand Porsches zu Nutze machten, so profitierte dieser große Konstrukteur auch von den zur Verfügung gestellten finanziellen Mitteln durch die Reichsregierung. Zugleich war sich Porsche durchaus der aus der weltpolitischen Lage herrührenden Gefahr für sich und seine Familie bewusst; nicht zuletzt diese weise Voraussicht veranlasste ihn, sich in Österreich zwei „Dependancen“ aufzubauen, nämlich in Gmünd und Zell am See. Gerade Gmünd bekam für folgenden Fahrzeugkonstruktionen große Bedeutung. Der Autor arbeitet sowohl die Wirkungsstätte „Gmünd-Karnerau“ als auch die Rolle der wichtigsten Entscheidungsträger im Porsche-Gefüge – Ferry Porsche, Ghislaine Kaes, Karl Rabe – heraus. Bemerkenswert auch die Spannungen zwischen Ferdinand Porsche und Albert Speer, der Porsche schon wegen der Bewunderung, die er durch andere Nazi-Größen genoss, mit großem Misstrauen begegnete.
„Sawmill Survival“ als nächstes Kapitel behandelt die Situation Ferdinand Porsches und seiner Familie nach dem Krieg. Porsche selbst geriet in französische Gefangenschaft, deren Bedingungen dem inzwischen nicht mehr jungen Konstrukteur gesundheitlich schwer zusetzten. Ungeachtet dessen führte das Konstruktionsbüro auf österreichischem Boden seine Planungen fort. Neben den eigenen Projekten hatten ja bereits zu Kriegszeiten die Überlegungen für die Produktion des Volkswagens in Wolfsburg konkrete Formen angenommen. Ein Unterabschnitt zitiert aus den Tagebüchern des Porsche-Neffen Ghislaine Kaes, die sich nun auch in der Sammlung von Jerry Seinfeld befinden – ein tieferer und authentischerer Einblick in das Leben der Familien Porsche und Piech zu dieser Zeit ist bisher meines Wissens noch nicht gewährt worden.
Großen Raum nehmen die Geschichte von Cisitalia und die Rolle, die Ferdinand Porsche für dieses Unternehmen von Piero Dusio spielte, ein: „Italy to the Rescue“. Die kurze, abwechslungsreiche und aufregende Historie, in die auch so namhafte Persönlichkeiten wie Tazio Nuvolari und Carlo Abarth verwickelt sind, ist ein erneuter Beleg für die schier unglaubliche Schaffenskraft und Vielseitigkeit des großen Konstrukteurs.
Nach diesen ersten fünf Kapiteln des Buchs gelangt man zum eigentlichen Auslöser für die Erstellung dieses – was die Porsche-Geschichte angeht – Grundlagenwerkes: Die drei Abschnitte „A Volkswagen Sports Car“, „Miracle of Production“ und „Saga of a Gmünd Porsche“ widmen sich der Planung, Entwicklung und Entstehung des 356, beginnend mit der Vorstufe 352 und dem 356-Roadster, dem 356-001. Dem schließt sich die „Werdens-Dokumentation“ der ersten 356 Coupés an, wobei auch die Wettbewerbsversionen eine angemessene Würdigung unter der Überschrift „Type 356 Sports Leicht“ erfahren. Den krönenden Abschluss dieses Teils des Buchs bildet die Darstellung von Seinfelds Sammlerstück 356/2-040 – von der Beschaffung dieses „Gmünd-Porsche“ bis zu seiner wundervollen Instandsetzung. In diesem Kontext erzählt Ludvigsen auch die Geschichte von Otto Mathé, einem der ersten Porsche-Kunden, der den 356/2-052 im Wettbewerb einsetzte und auch Eigentümer des 356/2-040 war, mit dem allerdings Renneinsätze nicht festgestellt werden konnten.
Nach der Entlassung Ferdinand Porsches aus der französischen Gefangenschaft begann die Rückverlagerung der Konstruktions- und Produktionsaktivitäten von Österreich nach Zuffenhausen, wo 1950 die Herstellung des 356 anlief. Bereits im März 1951 wurde der 500. Porsche 356 ausgeliefert. Zuvor war am 30. Januar 1951 Ferdinand Porsche gestorben, sein Sohn Ferry trat in die Fußstapfen des Vaters und bewies nachdrücklich, dass diese insbesondere auch auf unternehmerischem Gebiet nicht zu groß für ihn waren. Im Kapitel „Why Porsche?“ werden diese Entwicklungen nachgezeichnet und zahlreiche andere auf Volkswagen-Basis entstandene Sportwagenkonstruktionen vorgestellt, wie zum Beispiel die Fahrzeuge von Hebmüller, Fritz Rometsch, Petermax Müller, Walter Glöckler oder Wolfgang Denzel.
Das zehnte und letzte Kapitel führt unter Wiederholung des Buchtitels „Origin of the Species“ den überzeugenden Beweis, dass sich die Konstruktions- und Designgrundsätze des 356 als DNA der Porsche-Sportwagen bis zum modernen 911 fortsetzen und somit auch dessen einzigartigen Erfolg mitbegründeten – der Elfer feiert 2013 schließlich sein fast unglaubliches 50jähriges Jubiläum! Am Rande werden auch die Typen 914, 924 und 928 mit ihren Alleinstellungsmerkmalen, die für den 911 nie eine ernsthafte Konkurrenz darstellten, gestreift. Diese Feststellung wird auch durch die überaus interessanten Ausführungen von Ludvigsens Landsmann Peter W. Schutz gestützt, der als Vorstandsvorsitzender von Porsche in der Zeit von 1981 bis 1987 zum Glück das Überleben und die beispielhafte Fortentwicklung des 911 sicherte und für die wirtschaftlichen Voraussetzungen des einzigartigen Siegeszuges der Typen 956/ 962 die Verantwortung trug.
Zwei Anhänge ergänzen das Buch inhaltlich: Auf sechs Seiten wird die Werksdokumentation für den Porsche 356/2-040 wiedergegeben, über 41 Seiten ist die Betriebsanleitung des Porsche 356 aus dem Jahre 1949 reproduziert. Den Abschluss bilden eine knappe Bibliografie, ein ausführlicher Index sowie ein Quellenverzeichnis der Fotografien.
Das auf hochwertigem Papier gedruckte und in bester Verarbeitung präsentierte Buch reiht sich nahtlos in die Reihe der überragenden Bände von Karl Ludvigsen über Porsche ein - „Porsche Excellence was Expected“ und „Ferdinand Porsche – Genesis of Genius“, ebenfalls in der englischsprachigen Originalausgabe bei Bentley Publishers verlegt, haben die Messlatte schon sehr hochgelegt, zählen diese beiden gewichtigen Werke doch zur unverzichtbaren Standardliteratur über die Porsche-Historie. Mit „Origin of the Species“ wird Ludvigsen den eigenen sehr hohen Maßstäben nicht nur gerecht, er hat mit diesem Band wiederum ein wahres Meisterwerk geschaffen. Das Erstaunliche an seinen Recherchen sind die Tiefe im Detail und die Breite des Themenkreises, den er durchdringt. Wer dieses Buch liest, muss sich sehr viel Zeit und Muße nehmen; man kann nicht so nebenher nur darin blättern, man sollte mit ordentlichen Englischkenntnissen Stunden und Tage darin studieren. Natürlich wird die Porsche-Geschichte als Ganzes nicht neu geschrieben, aber Ludvigsen wartet mit so vielen Einzelheiten, Ursprüngen und Entwicklungen auf, dass auch der profundeste Porsche-Kenner teilweise neue Erkenntnisse gewinnen dürfte.
Einen zusätzlichen Reiz bezieht der Band aus den jedem Kapitel hinzugefügten so genannten „Sidebars“, die nichts anderes sind als punktuelle Zusatzinformationen, zum Teil von anderen Autoren vermittelt. Beispielsweise äußert sich Thomas Freeman zu „The Legacy of Erwin Komenda“, Miles Collier über „The Art of Restauration“, Robert Cumberford stellt „Thoughts on the First Porsche 356“ an, Alex Finigan beschreibt „My Experience with 356/2-040“, Grant Larson würdigt „The Gmünd Porsches“, Peter W. Schutz beschreibt – wie schon erwähnt – trefflich „The Power of Porsche's DNA“. Weitere interessante Themen dieser Einschübe sind „The Auto Union Sports Car“, „Gmünd in Carinthia“, „Petermax Müller's Opportunistic Racers“, „Ghislaine Kaes and his Diaries“, „The Private Life of 356-001“ sowie „The Otto Mathé Story“.
Nicht weniger eindrucksvoll als der Text ist die reichhaltige Illustration des Buchs. Neben den zum großen Teil erstmals veröffentlichten Fotos begeistern auch zahlreiche Schnittzeichnungen von technischen Details, Aufnahmen aus den Anlagen in Gmünd-Karnerau, Ablichtungen von den ersten Versuchsfahrzeugen des 356 im Einsatz und Bilder aus dem engeren Umfeld Ferdinand Porsches.
Die bestechenden Großaufnahmen vom 356/2-040 werden keinen Porsche-Fan kalt lassen, sie verdanken wir der fotografischen Kunst von Michael Furman. Die meisten Fotos stammen aus den Archiven von Porsche und Ludvigsen, aber auch zahlreiche kleinere Sammlungen und Privatarchive haben ihren Anteil zum Gelingen des Buchs beigetragen.
Dieses Grundlagenwerk von Karl Ludvigsen hat in überzeugender Weise die Wurzeln von Porsche erforscht und wiedergegeben und erklärt den Zusammenhang zwischen der aus dem Konzept des 356 ausgelesenen DNA und der heutigen Gestaltung der Porsche-Sportwagen in Form des unsterblichen 911. Dieses Buch ist für den wahren Porsche-Kenner und -Fan nicht nur eine Empfehlung, es ist fast schon eine Verpflichtung.
Thomas Nehlert



Autor: Karl Ludvigsen, Vorwort: Jerry Seinfeld
Verlag: Bentley Publishers, Cambridge/ Massachusetts, USA, 2012
Format: Hardcover 27x27 cm
Umfang: 356 Seiten, über 430 Abbildungen
Text: Englisch
Preis: $ 159,95 (Subskriptionspreis bis 31.12.2012 $ 119,95)
ISBN: 978-0-8376-1331-4
Zu beziehen: www.rallyandracing.com/racingwebshop Daniel Klein, Köln
€ 104,90
Fotos: Bentley Publishers
Mehr zu Karl Ludvigsen: www.bentleypublishers.com/ludvigsen/

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