Ein erneuter kleiner Ausflug ins große Motorsport-Archiv förderte dieses Mal die Februar-Ausgabe 1992 der Kult-Zeitschrift „rallye racing“ zu Tage. Passend zur bevorstehenden neuen Motorsport-Saison 2012 am Nürburgring - u.a. mit dem ACAS Tourenwagen-Revival powered by ring1.de am 28. April 2012 im Rahmen VLN-Lauf 3. Vor genau 20 Jahren stellte „rallye racing“ auf den Seiten 84 bis 88 die erfolgreichsten DTM-Fahrzeuge der Saison 1991 in einem Vergleichstest gegenüber. Hervorragend geschrieben von Thomas Voigt. Im Folgenden der Original-Text:

Audi, BMW und Mercedes haben die Siege in der Deutschen Tourenwagen-Meisterschaft 1991 unter sich ausgemacht. Wir fuhren die Top-Autos.
Für die immer zahlreicher werdenden Anhänger der Deutschen Tourenwagen-Meisterschaft (DTM) ist die Winterpause ein Greuel. Fünf Monate ohne DTM-Rennen — eine schreckliche Zeit. Sie können es kaum erwarten, bis beim traditionellen Auftakt im belgischen Zolder die Motoren endlich wieder dröhnen.
Bei einigen Motorsport-Journalisten verhält sich das etwas anders. Sie freuen sich auf das Saisonende und reiben sich die Hände, wenn das letzte schwarzweißkarierte Tuch gefallen ist. Nicht etwa, weil sie das vom Streß geplagte Vagabundenleben leid sind und deshalb dem Faulenzen frönen und den Kugelschreiber in die Ecke feuern. Nein. Sie freuen sich darauf, weil es im rennfreien Winter die Gelegenheit gibt, die Top-Autos der vergangenen Saison einmal selbst auszuprobieren. Und in welchem Motorsport-Journalisten schlummert nicht ein heimlicher Rennfahrer?
rallye racing-Leser sind es ja schon gewohnt, daß wir Jahr für Jahr die schnellsten Autos von Deutschlands Parade- Rennserie unter die Lupe nehmen. Daran soll sich nichts ändern. Dieses Mal haben wir die Weihnachtsferien verkürzt und gleich die drei erfolgreichsten Autos der Saison 1991 auf Herz und Nieren geprüft:
Den Audi V8 quattro, der in seiner Evolutions-Version den 1990 errungenen Titel verteidigen konnte und mit acht Siegen das erfolgreichste Auto der Saison war.
Den BMW M3 Sport Evolution, dessen Basisversion seit 1987 Rennen am laufenden Band gewinnt und im letzten Jahr für sieben DTM-Siege gut war.
Und schließlich den Mercedes 190E 2.5-16 Evolution 2, der Daimler-Benz fünf Laufsiege sowie die Vizemeisterschaft bescherte und bei fast der Hälfte der Veranstaltungen von der „Pole-position", dem besten Startplatz, ins Rennen ging.
Ein illustrer Kreis also, der die Siege in der vergangenen Saison unter sich ausgemacht hat. Und diese drei Autos werden auch 1992 die DTM beherrschen — denn neue Evolutions-Stufen hat man per Reglement für das letzte Jahr des Handicap-Reglements verbannt, und neue Mitstreiter wie Alfa Romeo, Toyota und Pausierer Opel sind erst für 1993 in Sicht.
Das flexible Reglement der „klassenlosen Gesellschaft" hatte zu Beginn des Jahres 1991 die Karten neu gemischt. Meister Audi wurden ein paar zusätzliche Kilo aufgebrummt, Mercedes und BMW durften ihre 2,5-Liter-Autos um jeweils 60 Kilo von 1040 auf 980 Kilogramm abspecken. Diese Diät war zwar teuer, doch sie erfüllte ihren Zweck. BMW und Mercedes waren auf allen Rennstrecken deutlich schneller. Weniger Gewicht ist nun einmal gleichzusetzen mit einer besseren Beschleunigung, späterem Bremsen und einem geringeren Reifenverschleiß.
Am Steuer merkt selbst der Laie die Abmagerungskur: Der BMW und der Mercedes sind viel agiler als noch vor einem Jahr. Alles geht eine Spur einfacher. Den größten Fortschritt aber haben bei BMW und Mercedes die Bremsen gebracht. Parallel wurde das Antiblockiersystem (ABS) renntauglich gemacht. Mercedes gemeinsam mit Bosch, BMW in Kooperation mit der Firma Teves. Die anfängliche Skepsis bei den Spitzenpiloten wich schnell der Begeisterung. Das ABS wurde trotz anfänglicher Probleme zum Erfolgsschlüssel.
Audi-Star Hans-Joachim Stuck bemerkte schon in Zolder: „Der Vorteil, den wir 1990 dank Allradantrieb beim Bremsen hatten, ist nun futsch." Audi fährt nach wie vor ohne ABS. Einerseits, weil die Räder bei einem Allradauto eine deutlich geringere Neigung zum Blockeren haben. Andererseits aber, weil ABS in Kombination mit Allradantrieb eine komplizierte Angelegenheit ist.
Dem Hobbyrennfahrer freilich vereinfacht ABS den Umgang mit einem modernen DTM-Auto. Das Bremspedal ist nicht mehr so brutal hart wie bei einem Rennwagen ohne Blockierverhinderer. Die permanente Angst vor stillstehenden Rädern ist Vergangenheit. Mit ABS läßt es sich munter in die Kurven hineinbremsen, als hätte man sein Leben lang nie etwas anderes gemacht. Allerdings braucht man auch mit ABS kräftige Muskeln im Bein. Wer die volle Bremskraft ausnutzen will, muß brutal auf das Pedal treten. Das wiederum meldet den Einsatz der Regelelektronik mit einem dezenten Pulsieren — das kennt man von Serienautos.
Doch auch der Audi ist beim Bremsen ein Musterknabe. Die Zangen packen die rundum 35 Zentimeter messenden Scheiben mit einer derartigen Vehemenz an, daß man die fast 300 Kilo, die der V8 im Renntrimm wegen seines größeren Hubraums mehr auf die Waage bringen muß, kaum spürt. Überhaupt kommt man sich im Renn-V8 nie vor wie in einem großen Auto. Der Doppel-Meister aus Ingolstadt ist genauso handlich wie der BMW M3 oder der Mercedes.
Handlicher sogar, denn der Audi wartet als einziger aus dem siegreichen Trio mit einer Servolenkung auf. Ein Luxus, den die eiligen Audi-Chauffeure nicht mehr missen möchten. Bei zwei je hundert Kilometer langen Rennen ist die Servounterstützung eine gewaltige Hilfe. Keine Spur von Schmerzen in den Oberarmen und Muskelkater, die die extrem schwer-gängige Lenkung des Mercedes verursacht. Sogar der BMW, der auch ohne Lenkhilfe auskommen muß, lenkt sich wesentlich leichter. Die Ursache muß in der Geometrie der Vorderradaufhängung liegen. Der 91er-Mercedes läßt sich zwar schon leichter als das Vorgängermodell dirigieren. Ein DTM-Rennen im Daimler ist trotzdem Schwerstarbeit.
Einziges Manko an der Servolenkung im Audi ist die Geräuschkulisse, die sie verursacht. Nachdem man 1990 einige Probleme hatte, haben die Audi-Ingenieure die Servopumpe starr befestigt. Die Schwingungen übertragen sich auf die Karosserie und sorgen für ein penetrantes Begleitgeräusch, das den akustischen Genuß des 3,6 Liter großen V8-Triebwerks schmälert.
Obwohl der Audi V8 und die Vierzylinder von BMW und Mercedes in der Konzeption grundverschieden sind, haben sie 1991 die gleiche Entwicklung durchlaufen. Bei der ständigen Suche nach mehr Leistung trieb man die Maximaldrehzahl in immer neue Regionen voran. Leistungswerte und Drehzahlen sind in der DTM längst genauso gut gehütete Geheimnisse wie in der Formel I. Die Zahlen, die auf dem Papier stehen, sind bestenfalls Notlügen. Tatsächlich haben alle drei Werke 1991 die magische Grenze von 10 000 Touren erreicht, was die Laufleistung auf 400 bis 600 Kilometer reduzierte! Die echte Leistung der Vierzylinder liegt bei über 360 PS, was einer beachtlichen Literleistung von 144 PS entspricht. Audi bringt es auf eine Literleistung von geschätzten 138 PS. Beim Finale in Hockenheim soll der V8 die 500-PS-Schallmauer durchbrochen haben. Soll, wie gesagt, denn offiziell spricht Sportchef und Ingenieur Dieter Basche von 460 Pferdestärken - allerdings bei 9300 Touren.
Erstaunlich ist, wie gleichmäßig die Leistungsentfaltung bei allen drei Test-Kandidaten vor sich geht. Mißwilliges Sprotzen und Stottern im unteren Drehzahlbereich gehören der Vergangenheit an. Die moderne Elektronik macht's möglich. Audi und Mercedes setzen auf Bosch, BMW auf die hauseigene ECU. Ein Display, auf dem sich alle wichtigen Motordaten abrufen lassen, gibt es inzwischen bei allen.
Der richtige Biß setzt bei den DTM-Autos allerdings erst jenseits der 7000er-Marke ein. Anschließend geht's hurtig Richtung Maximaldrehzahl, wobei die Audi-Ingenieure ihren Piloten einen weiteren Luxus spendiert haben: Ist die programmierte Schaltdrehzahl erreicht, leuchtet ein kleines Licht im Cockpit auf. Der Drehzahlmesser wird nebensächlich und dient, so Meister Frank Biela, nur noch zur Defektermittlung. So einfach die kleine Lampe ist, so hilfreich ist sie im dichten DTM-Getümmel.
Schließlich muß oft genug geschaltet werden. BMW und Mercedes, beide mit identischen Getrag-Getrieben ausgestattet, vertrauen bei den meisten Rennen auf das bewährte Fünfgang-Getriebe. Nur auf extremen Strecken wie zum Beispiel der Avus verwendet man das Sechsgang-Getriebe, das beim Audi Standard ist. Eines haben auch hier wieder alle DTM-Autos gemeinsam: Die Wege sind kurz, es läßt sich exakt und weich schalten. Schaltfehler werden bei derart einfacher Bedienung zur Seltenheit. Beim Fahrverhalten gibt es natürlich Unterschiede. Der Audi läßt sich dank Allradantrieb und Servolenkung am leichtesten dirigieren. Es gibt nur einen Trick: Man muß verhältnismäßig langsam in die Kurve hineinfahren, sonst schiebt der Audi wild über die Vorderräder. Beherzigt man das, kann man schon vor dem Scheitelpunkt wieder kräftig Gas geben. Das Erlebnis, im leichten Drift über alle vier Räder durch die Kurve gezogen zu werden, ist einmalig. Man darf allerdings nicht den Fehler machen, plötzlich vom Gas zu gehen — dann kann man sich sogar mit einem Audi V8 quattro drehen.
Das Fahrwerk des Audi ist spürbar härter als noch vor einem Jahr. Der V8 ist ein richtiges Rennauto geworden. Genau wie BMW und Mercedes, die längst über erstklassige Fahrwerke verfügen, ihre Suche nach dem Optimum aber noch immer nicht aufgegeben haben. Der BMW wirkt etwas aggressiver und giftiger als der Mercedes, ist aber trotzdem relativ leicht zu kontrollieren. Der Daimler überzeugt vor allem in mittelschnellen Kurven. Dort zeigt der große Heckflügel offenbar Wirkung. Nicht umsonst war die Mercedes-Armada 1991 auf dem Nürburgring unschlagbar. BMW und Audi müssen mit relativ bescheidenen Hilfsmitteln auskommen. In schnellen Kurven machen sich aber selbst die kleinen Spoiler am Audi bemerkbar, der deutlich stabiler seine Bahnen zieht als der noch nicht evolutionierte und beflügelte Ur-V8.
Welcher Tourenwagen derzeit der beste ist, läßt sich schwer sagen. Der Audi besticht durch seine hohe Motorleistung und seine extrem leichte Bedienbarkeit. Der Mercedes überzeugt durch Gutmütigkeit und hohen Abtrieb. Der BMW scheint der beste Kompromiß, was viele Siege in vielen Ländern beweisen.
Eines steht fest: Die drei Autos liegen in ihrer Leistungsfähigkeit sehr eng beisammen. Und genau das wollen wir ja sehen. Jetzt freuen auch wir uns auf Zolder!

Text: Thomas Voigt
Quelle: rallye racing, Februar 1992, Seiten 84-88

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