Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?! Eine Fragestellung, die sich an die Funktionäre und Verantwortlichen von FIA, SRO und ACO richtet. Was früher einmal übersichtlich und logisch nachvollziehbar war, ist heute ein Regelwerkslabyrinth. Ein deutsches Sprichwort sagt: „Viele Köche verderben den Brei.“ Ursache ist ein Kompetenzgerangel und Machtkampf zwischen dem internationalen Automobilsport-Verband FIA, der multinationalen Sportmarketingagentur SRO und dem französischen LeMans-Veranstalter ACO. Es geht um die Vorherrschaft im Rennsport mit GT-Wagen. Es geht darum, wer dort das Sagen hat und die Regeln bestimmt. Es geht nur in zweiter Linie um den Sport.

Der Anhang J zum Internationalen Sportgesetz (ISG) des internationalen Automobilsport-Verbandes FIA regelt die Einteilung der Renn- und Rallyewagen in Kategorien, Gruppen und Klassen. Neben Tourenwagen, Prototypen und Formelwagen sind die GT-Wagen traditionell eine von vier Kategorien.
Gran Turismo (italienisch), englisch Grand Touring, französisch Grand Tourisme – kurz GT - beschreibt den Verwendungszweck ursprünglicher GT-Wagen, also relativ komfortabler und gut motorisierter Sportwagen, die für Langstreckenrennen geeignet sind.
Viele der heute mit dem Kürzel GT bezeichneten Autos haben mit einem echten GT im ursprünglichen Sinn wenig gemeinsam, da die Bezeichnung GT bei ersteren nur als Etikett dient.
Die GT-Wagen im Anhang J des ISG der FIA
Für den Automobilsport legte die FIA Regeln fest, denen die GT-Wagen lt. Anhang J bis 1965 zu entsprechen hatten. Unter anderem war folgendes vorgeschrieben: offene oder geschlossene Karosserie mit zwei Türen und mindestens zwei gleich großen nebeneinander angeordneten Sitzen, Innenbreite mindestens 110 cm, Kotflügel organisch mit der Karosserie verbunden, Kofferraum (ohne Reserverad) mindestens 65 × 40 × 20 cm, Windschutzscheibe aus Schichtglas von mindestens 90 × 25 cm (Höhe zwischen Sitzpolster und oberem Scheibenrand mindestens 85 cm), Rückfenster mindestens 60 × 10 cm; Seitenfenster aus Sicherheitsglas oder festem Plastik, Rückspiegel 100 cm², gleich große Felgen und ein fertig montiertes Reserverad im Wagen.
GT-Wagen mußten straßenzulassungsfähige Autos sein, die in einer jeweils im Reglement festgelegten Mindestanzahl hergestellt werden mußten. Im Anhang J bis 1965 galt eine Mindeststückzahl von 100 Stück. In den späteren Versionen des Anhang J waren 500 oder auch 1000 Stück vorgeschrieben.
Im Anhang J von 1966 bis 1975 und im folgenden Anhang J von 1976 bis 1981 waren die GT-Wagen in der Gr.3 (Serien-GT-Wagen) und Gr.4 (Spezial-GT-Wagen) eingruppiert. Inwieweit man die Gr.5 (Spezial-Produktionswagen) des Anh. J (1976-81) dazuzählt, ist Ansichtssache.
Der seit 1982 gültige Anhang J sah ursprünglich zwei Gruppen für GT-Wagen vor: Gr.N/GT (Serien-GT-Wagen) und Gr.B (GT-Wagen), wobei letztere als Spezial-Rallyewagen fast nur im Rallyesport eine Rolle spielten und der Rallye-WM in den Jahren 1982 bis 1986 zu einem unvorhersehbaren riesigen Boom verhalfen, wie ihn der Rallyesport bis dahin nicht kannte und danach nie wieder erreichte.
Im Zuge der Aufweichung und Zersplitterung des Anhang J seit den 90er Jahren wurden neue Gruppen in den Anhang J aufgenommen, darunter auch neue Gruppen in der Kategorie der GT-Wagen.
Die FIA schrieb 1997 eine GT-Wagen-WM in mehrere Klassen aus. Die Einstufung wurde in den folgenden Jahren mehrmals geändert, etwa durch Wegfall der eher als Prototypen einzustufenden damaligen Klasse GT1 nach 1998 und späterer Umbenennung der verbliebenen Klassen in N-GT und GT. So gab es ab 2005 die relativ seriennahe Klasse GT2 und eine Klasse GT1 mit stärker modifizierten Fahrzeugen. 2006 schrieb die FIA zusammen mit dem GT-Wagen-Rennveranstalter, der Sportmarketingagentur SRO eine weitere GT-Wagen-Rennserie aus. Die GT3-EM basierte auf der neugeschaffenen Klasse GT3. Darüber hinaus existierten bis 2004 in anderen Rennserien, die das modifizierte technische Regelwerk des 24-Stunden-Rennens von Le Mans aufgriffen, in Anlehnung an die verschiedenen GT-Wagen-Klassen der FIA die Klassen GTS und GTP.
Interessant ist die Entwicklung der GT-Wagen-Klassen seit den 90er Jahren. 1995 wurde von der FIA eine Klasse GT2 und eine Klasse GT1 ausgeschrieben. Die damalige GT1 umfaßte Fahrzeuge, die man eher den Prototypen zurechnen kann. Also um geschlossene Prototypen, die als GT-Wagen deklariert wurden. Die damalige GT2 umfaßte Fahrzeuge, die man mit der heutigen Klasse GT1 vergleichen kann.
1999 traten neue Reglements in Kraft. Die Klasse GT1 wurde in der bisherigen Form nicht fortgeführt. Die bisherige Klasse GT2 wurde in Klasse GT umbenannt und zum Vorgänger der heutigen Klasse GT1. Hinzu kam die Klasse N-GT, die man als Vorgänger der heutigen Klasse GT2 bezeichnen kann.
2005 wurden die Klassen umbenannt. Aus der Klasse GT wurde die Klasse GT1 (GT-Wagen) und aus der Klasse N-GT wurde die Klasse GT2 (GT-Wagen). Hinzu kam ab 2006 die Klasse GT3 (Cup-GT-Wagen) und schließlich noch die SRO-Klasse GT4 (Serien-GT-Wagen). Alles klar?!
Da inzwischen jeder der beteiligten Verbände und rennveranstaltenden Agenturen seine eigenen Regeln macht, kommen zur allgemeinen Verwirrung noch weitere Klassen wie GTC, GTB, GTS, GTA, Super-GT, Sports Light, GT-Hybrid oder die jetzt aus der GT2 entstandene Klasse GTE hinzu. Nicht zu vergessen: lt. Anhang J gibt es auch immer noch die Gr.N/GT (Serien-GT-Wagen) und die Gr.B (GT-Wagen), die man ebenso den GT-Wagen hinzurechnen muß, wie die neu definierte Gr.R/GT (Serien-GT-Wagen für den Rallyesport). Immer noch alles klar?!
Die aktuelle Situation bei den GT-Wagen
Im Einflußbereich der FIA (sportlicher Veranstalter), zugleich teilweise Geschäftsbereich der SRO (kommerzieller Veranstalter), die für einige der folgenden Serien die kommerziellen Rechte besitzt:
Die GT1-WM. Bis 2011 für die Klasse GT1 (GT-Wagen) – die derzeit leistungsstärksten GT-Wagen in der Systematik von GT4 bis GT1. Mittlerweile sind die GT1 aber auch nur in der WM zugelassen. Im gesamten Machtbereich des ACO sind sie inzwischen außen vor.
Ab der kommenden Saison soll die WM mit Wagen der Klasse GT3 ausgetragen werden. Die GT3 sind ohnehin die mittlerweile dominierende Klasse im Rennsport mit GT-Wagen. Der Klasse GT3 (Cup-GT-Wagen) steht ein ganzer „Bauchladen“ an Rennserien offen:
FIA GT3-Europameisterschaft
International GT Open
ADAC GT Masters (Deutschland)
VLN Langstreckenmeisterschaft Nürburgring (Deutschland)
Deutsche GT-Meisterschaft
Australische GT-Meisterschaft
Belgische GT-Meisterschaft (ehemals Belcar)
Brasilianische GT-Meisterschaft
Britische GT-Meisterschaft
Französische GT-Meisterschaft
Italienische GT-Meisterschaft
Spanische GT-Meisterschaft
Der Boom der GT3 steht natürlich in einem engen Zusammenhang mit den boomenden GT-Kundensportprogrammen der Hersteller.
Der GT4 Europa Cup wurde 2007 von der SRO ins Leben gerufen, nachdem diese in den Vorjahren die FIA GT Meisterschaft und die FIA GT3 EM etabliert hatte. Der Europa Cup bildet damit den kostengünstigen Einstieg in die von der SRO initiierten GT-Wagen-Rennserien.
Im Einflußbereich des ACO:
Die GT2 sollte 2010 in der EM Anwendung finden. Diese wurde jedoch mangels Interesse ausgesetzt und 2011 komplett aufgegeben. So konzentrierte sich die FIA mit der GT1-WM und der GT3-EM auf die anderen GT-Wagen-Klassen. Infolge fand das GT2-Reglement nun ausschließlich in Rennserien des ACO und mehreren nationalen Rennserien Anwendung. Der ACO reagierte seinerseits auf den Teilnehmerschwund der Klasse GT1 und baut nun ausschließlich auf die jetzt GTE genannte Klasse GT2 mit den zwei Wertungsklassen Am und Pro, die aber keine technischen Unterschiede darstellen (und somit auch keine echten Klassen sind), sondern lediglich besagen, daß entweder Amateur- oder Profi-Fahrer gewertet werden. So gehen die FIA und der ACO wieder getrennte Wege.
Wagen der Klasse GT2 fahren als „Feldfüller“ in den Prototypen-Rennserien des ACO: ILMC (ab 2012 als „wiederbelebte“ Prototypen-WM), LMS und ALMS.
Außerdem in der International GT Open und der VLN Langstreckenmeisterschaft Nürburgring (Deutschland).
Seriennähe und Kosten der GT-Wagen ergeben sich aus ihrer Nomenklatur. Von den seriennahen GT-Wagen der GT4 bis zu den reinrassigen Rennwagen der GT1 nimmt die Seriennähe ab und die Kosten nehmen zu.
Die GT-Wagen in der VLN
In der VLN Langstreckenmeisterschaft Nürburgring kommen GT-Wagen der verschiedenen FIA-, SRO- oder ACO-Klassen in verschiedenen VLN-Klassen zum Einsatz. Die Fahrzeuge der SRO-Klasse GT4 in der VLN-Specials-Klasse SP10. Die Fahrzeuge der FIA-Klasse GT3 in der VLN-Specials-Klasse SP9. Und die Fahrzeuge der FIA-Klasse GT2 in den VLN-Specials-Klassen SP7, SP8 und E1-XP. Fahrzeuge der FIA-Klasse GT1 kommen in der VLN nicht zum Einsatz.
Fazit
Unter dem Strich sind die VLN-Regularien übersichtlicher und nachvollziehbarer als die unübersichtlichen und sich ständig ändernden Regelwerke von FIA, SRO und ACO.
Eine sinnvolle Lösung wäre eine Beschränkung auf zwei GT-Wagen-Gruppen: seriennahe GT-Wagen, die der SRO-Klasse GT4 entsprechen und auch Cup-GT-Wagen aus den Markenpokalen von Porsche und Ferrari beinhalten und eine Zusammenlegung der reinrassigen Rennfahrzeuge der Klassen GT3, GT2 und GT1 zu einer gemeinsamen Gruppe Spezial-GT-Wagen, zumal die Unterschiede der drei Klassen ohnehin marginal sind, was auch die Rundenzeiten auf verschiedenen Rennstrecken belegen.
In diesem Zusammenhang sollten dann auch Themen wie die Zulassung unterschiedlicher Antriebskonzepte, Leistungsausgleich durch „BoP“-Reglements (sollte den Serien-Veranstaltern überlassen bleiben), Kostenentwicklung und die Entscheidung zwischen Privatiers, Kundensportprogrammen und offiziellen Werkseinsätzen angegangen werden. Solange aber jeder gegen jeden arbeitet und FIA/SRO und ACO ihre jeweils eigenen Interessen verfolgen, dürfte das ein sehr schwieriges Unterfangen sein.

Fotos: Ring1 (Daniel Eckel, Christian Moskopp)

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